Barbara Limberg: Stellungnahme (Bewertungskriterien für Sachakten)  

Um es vorweg zu nehmen, ich selbst habe Unterlagen mit "K 5/K" (konservatorisch nicht lösbar) bewertet. Das ist bislang nicht oft vorgekommen. Denn in vielen Fällen ergibt sich die Entscheidung für die Kassation bereits aus der fehlenden federführenden oder zumindest qualifizierenden Zuständigkeit, der Tatsache, dass der behandelte Gegenstand in anderen Überlieferungen bereits umfassend dokumentiert ist (das lässt sich dank Datenbank auch schnell feststellen). In diesen Fällen findet regelmäßig der Bewertungscode K 3 Anwendung. Indes kann auch fehlende Federführung zur Archivwürdigkeit führen, nämlich dann, wenn ein Kriterium hinzukommt: die Überlieferung genutzt werden soll, um die (fehlende) Überlieferung der federführenden Behörde zu ersetzen oder zu ergänzen.

Ist Federführung gegeben, so hat man zumindest ein Indiz für die Archivwürdigkeit, indes gibt es viele Kriterien, die noch zu prüfen sind, bevor man wirklich von Archivwürdigkeit sprechen kann. Federführung ist nicht alles. Es gibt kein Schwarz, gibt kein Weiß. Es gilt abzuwägen - und das macht das Bewertungsschema von Max Plassmann auch deutlich, vor allem dort, wo er von "unverhältnismäßig hoch" spricht. Verhältnismäßig oder unverhältnismäßig kann nur etwas sein, das einer Gegenüberstellung dessen, was für eine Archivierung, und dessen, was gegen eine Archivierung spricht, unterlegen hat. Plassmann nennt beides in seinem Schema, wenn er auch die Rückkopplung und Bedingtheit nicht deutlicher durch einen weiteren Pfeil herausstreicht.

Liegen Akten als Doppel vor - in der Zeit der Fotokopierer nichts Unübliches -, enthalten sie nur Überstücke, oder weist eine Druckfahne lediglich Rechtschreibfehler aus und unterscheidet sich ansonsten in nichts vom Druck, kassiert man leichten Herzens das Überzählige. Ist eines der Doppel schimmlig oder mit Klebestreifen zusammengestückelt, hat man gleich noch einen Grund. Für die Kassation von Presseausschnittssammlungen spricht die Tatsache der Veröffentlichung sowie die konservatorische Problematik. Gründe für eine etwaige Archivwürdigkeit zu finden, fällt schwerer.

Wenn man ohnehin nur eine Auswahl von Unterlagen übernehmen will, tut man möglicherweise gut daran, die Finger von denen zu lassen, die hohe Folgekosten erwarten lassen.

Zu erwähnen ist auch der Fall, dass zwar Federführung gegeben ist, aber fraglich bleibt, ob der Gegenstand, der in den Akten abgebildet wird, tatsächlich so bedeutsam ist, dass er auch dokumentiert werden muss. (Bedeutsam heißt hier vor allem im Rahmen der Überlieferungsbildung der aktenbildenden Stelle im Hinblick auf deren Aufgaben und auf die Aufgabenwahrnehmung durch die Stelle, die natürlich auch im Kontext der gesamten archivischen Überlieferungsbildung zu betrachten ist).
Der äußere Zustand einer Akte, aber auch etwa die (Un-)Ordnung einer Akte (d.h. schlechte Aktenführung, hoher Anteil von Drucksachen, fehlende Vorgänge und Aktenstücke etc. Bewertungscode "K 5/B") können sehr wohl ein zusätzliches - nicht aber das einzige - Kriterium dafür bilden, die Archivwürdigkeit zu verneinen.

Bewertung ist eine abwägende Entscheidung, die nicht allein abhängig ist von einem Kriterium. Die Gesamtheit der Kriterien sowie ihre Gewichtung entscheiden.

Von Archivgut "erster oder zweiter Klasse" kann allenfalls dann gesprochen werden, wenn es sich um als archivwürdig bewertetes Material handelt. Die Kassation von Archivgut ist gemäß Bundesarchivgesetz nicht gestattet: Archivgut des Bundes ist gemäß § 1 "auf Dauer zu sichern". Daher findet eine Kassation von Archivgut auch nicht statt. Die Kassation erfolgt dann, wenn der "bleibende Wert" und damit die Archivwürdigkeit verneint wurden. Wenn dies der Fall ist, kann es sich auch nicht um Archivgut (= mit A bewertete Unterlagen) handeln. Die Ersatzverfilmung (und die damit einhergehende Kassation) steht auf einem anderen Blatt: Sie ist eine konservatorische Maßnahme, die gerade dem Erhalt dient.

Grundsätzlich erscheint mir angesichts der Mengen (aber auch dem relativ hohen Grad der Substituierbarkeit moderner Akten) eine Priorisierung (vgl. Schweizer Bundesarchiv) im Bereich der Bewertung wie auch im Bereich der Bestandserhaltung als vernünftig und realistisch.